Thomas Knubben: Mesmer oder die Erkundung der dunklen Seite des Mondes.
Das unbekannte Land
Thomas Knubben analysiert in Mesmer oder die Erkundung der dunklen Seite des Mondes die atemberaubende Karriere des Arztes und Förstersohnes Franz Anton Mesmer (1734-1815), der im Zeitalter der Aufklärung Furore macht in Wien und Paris und seinen Lebensinhalt im Seelenleben seiner Mitmenschen findet. VIOLA STOCKER lässt sich mitnehmen auf eine Reise, die Licht bringt ins Dunkel der Seele.
Mesmer ist ein typisches Kind der Aufklärung. Am 23. 5. 1734 in Iznang am Bodensee geboren als drittes Kind einer Försterfamilie, war ihm eine akademische Laufbahn nicht vorherbestimmt. Der talentierte Junge entkommt aber der Dorfschule, wechselt mit zwölf Jahren auf das Jesuitenkolleg nach Konstanz. Seine akademische Ausbildung wird sechzehn Jahre dauern und Philosophie, Theologie, Jura und Medizin umfassen. Am Ende ist er promovierter Arzt.
Empathisches Naturtalent
Mesmer wird von Zeitgenossen stets gleich beschrieben – sympathisch, interessant, gebildet. Diese Zuwendung zu seinen Mitmenschen verschafft ihm Zeit seines Lebens Gönner, die ihm ein Dasein außerhalb seiner Herkunft ermöglichen. Der Jesuitenorden, Speerspitze der Gegenreformation und Verfechter aufklärerischer Bildung auf der Höhe der Zeit, wird 1773 aufgelöst. Mesmer ist einer der letzten Nutznießer des gigantischen Wissens der Jesuiten.
Als Stipendiat studiert Mesmer in Dillingen Philosophie und Theologie, wechselt dann nach Ingolstadt, wo er Theologie und Kirchenrecht studiert. Sein Studium ist stark vom systematischen Denken der Aufklärung geprägt. Als promovierter Arzt lässt er sich schließlich in Wien für zwölf Jahre nieder, durch die Heirat mit einer vermögenden Witwe ist Mesmer ein gemachter Mann. Er praktiziert als Arzt, gibt Soireen und die Crème de la Crème der Wiener Gesellschaft geht bei ihm ein und aus.
Mesmer und der Magnetismus
Mesmer hätte nun sein Leben so beschließen können. Als anerkannter Arzt der medizinischen Fakultät zu Wien, der ein großes Haus führt. Doch seit Studienzeiten verlangt ihn nach mehr. Mesmer war früh fasziniert von den astronomischen Studien eines Kepler und den aufkommenden Naturwissenschaften. Ihn interessieren nicht so sehr die Teildisziplinen der Medizin als das große Ganze des Menschen.
Mesmer stößt auf eine alternative Heilmethode, die bei seinen Patienten erstaunliche Wirkung zeigt. Mit Vorliebe behandelt er Patienten, die unter obskuren Beschwerden leiden und bei denen die damalige traditionelle Medizin versagt hat. Knubben erläutert wundervoll den Übergang von der Lehre von den vier Säften auf eine evidenzbasierte Medizin. In der aufkeimenden Wissenschaftsgläubigkeit ist Mesmer mit seinem Vertrauen in ein alles durchfließendes Fluidum ein Außenseiter.
Erste ganzheitliche Heilansätze
Akribisch dröselt Knubben jeden einzelnen Heilungserfolg Mesmers auf, den er in seiner zwölfjährigen Wiener Zeit hatte. Um zu verstehen, was in Mesmer vor sich ging, hätte es nicht derartig viele Details gebraucht, die teilweise in Langatmigkeit ausarten. Von Anfang an hat Mesmer Feinde, vor allem, weil er seine Heilmethode nicht erklären kann. Geprägt von den naturwissenschaftlichen Entdeckungen seiner Zeit macht er den Magnetismus, der dank eines Fluidums jeden Körper durchdringen könne, für seine Heilerfolge verantwortlich.
Kritiker verurteilen Mesmers Ansatz als Humbug. Er muss Wien sogar gen Paris verlassen, als die Eltern einer blinden Pianistin, die Mesmer von ihrer Blindheit geheilt hat, sich des ursprünglichen Kuriosums beraubt sehen. Plötzlich gilt Mesmer als Scharlatan. Im vorrevolutionären Paris jedoch baut er sich schnell eine neue Existenz auf und avanciert zum Liebling der Pariser Gesellschaft.
Technik und Empathie
Um seine Seriosität zu unterstreichen, baut Mesmer sich ein Instrumentarium auf, von dem er sich Zeit seines Lebens nicht mehr trennt. In einer geschlossenen Holzwanne, dem Baquet, werden unterschiedlichste Gefäße mit verschiedenen Flüssigkeiten aufbewahrt, das Fluidum. Aus dem Baquet ragen gebogene Eisenstangen, die auf den Behandlungspunkt zeigen sollen. Die um das Baquet arrangierten Patienten sind durch ein Seil verbunden.
Nichts von all dem ist wissenschaftlich haltbar. In Berlin und Paris befassen sich Kommissionen mit Mesmer, die ihm jede medizinische Befähigung absprechen. Trotzdem scharen sich Anhänger um Mesmer. Es liegt wohl an seiner einnehmenden Persönlichkeit, die Knubben immer wieder heraufbeschwört, dass er so viele Menschen bewegen kann. Mesmer gründet sogar eine Gesellschaft, die sich dem Mesmerismus widmet und in der viele angesehene Bürger und Adlige der Pariser Gesellschaft vertreten sind.
Fernwirkung
Doch Mesmer muss ein zweites Mal fliehen, diesmal weg von Paris und wieder zurück an den Bodensee. Es wird sein Alterssitz, in einer Pfründnerbude gibt er sich mit seinem Instrumentarium und nur acht Büchern zufrieden. Er darf es jedoch noch erleben, dass die Berliner Akademie der Wissenschaften seine Erkenntnisse noch einmal untersucht und ihm endlich – allerdings dann posthum – Anerkennung zuteil wird.
Knubben widmet sich in aller Ausführlichkeit dem Leben Mesmers, die Fernwirkung jedoch wird in wenigen Seiten abgetan. Der erste Arzt, der mit moderner naturwissenschaftlicher Erkenntnis ganzheitlich behandelte, war Mesmer. Was er als Magnetismus bezeichnete, wurde ein halbes Jahrhundert später als Hypnose entzaubert. In der aufstrebenden Homöopathie war die Heilung per Empathie und Handauflegung wieder ein eigener Heilansatz. Und erst Psychologen wie Sigmund Freud widmeten sich den Suggestionen, die Mesmer bereits in seinen Patienten gesehen hatte. Mesmers eigentliches Problem blieb, bis zum Schluss nicht zu ahnen, was er eigentlich entdeckt hatte, ohne, dass dies die Wirksamkeit seiner Heilmethode geschmälert hätte.
Titelangaben:
Thomas Knubben: Mesmer oder die Erkundung der dunklen Seite des Mondes.
Tübingen: Klöpfer & Meyer, 2015. 240 Seiten. 24 EUR.